Welt der Frau 12-1997
Sehen, was ist
Leena Naumanen wurde 1951 in Jyväskylä, Finnland, geboren und studierte 1971-1976 an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Sie lebt und arbeitet in Wien.
Aus Naheliegendem webt Leena Naumanen Bilder der Weite. Sie verwendet pflanzliche Materialien, Leinen und das Holz alter Schindeln. Die Kette verläuft horizontal. Das mit dem Finnendolch zu fingerbreiten Streifen geschnittene Holz ist als Schuß eingewoben. Das Holz trägt die Spuren der Zeit. Es ist verwittert, gebleicht, ausgewaschen, schwarz, vermoost. Fast alle Schindeln, die Leena Nau-manen verwendet, stammen aus Finnland. Sie hat die Häuser, die mit diesen Schindeln gedeckt waren, aufge-sucht. Das Abgenutzte wird von ihr in Ehren gehalten.
Leena Naumanen verwebt Altes mit Neuem. Dem Grad und der Art seiner Verwitterung entsprechend ist das Holz vielfarbig. Es gibt Gelb-braun, Silbergrau und Schwarz. Moose tragen ein gedämpftes Grün bei. Mitunter verwendet die Künstlerin zur zusätzlichen Färbung grüne Aquarellfarbe oder rotbraune Erdfarbe. Die Holz-stücke sind so ausgewählt und zusammengestellt, daß sich farbliche Zusammenhänge ergeben. Die Farbe des Leinen antwortet auf die Farbe des Holzes. Es ist ein leises Gespräch, das Altes und Neues verbindet, eint.
Die Vorbereitung der Arbeit und das Weben selbst nehmen viel Zeit in Anspruch. Zwei Monate sind nötig für ein mittelgroßes Stück wie das hier abgebildete. Was hier geschieht, geschieht langsam. Wie das Wachsen der Pflanze, wie das Altern des Holzes. Was hier zu entdecken ist, zeigt sich nur dem langsamen Blick. Der Reichtum des Holzes, vom Unverbrauchten bis hin zum stark Verwitterten, dieser Weg in die Tiefe der Zeit. Der Reichtum des Leinens, dessen Farbenspiel mit dem des Holzes verwoben ist, als würden zwei Gesänge ineinander gehen. Ihr Zusammentreffen ergibt einen ruhigen Klang, der alles durch-webt, alles trägt.
Aus Naheliegendem schafft Leena Naumanen Bilder der Weite. Ihr sorgfältiger Umgang mit den Dingen eröffnet die Weite zwischen Hell und Dunkel. Die stille, feierliche Weite einer winterlichen Landschaft ist in diesen Bildern zu entdecken.
Ja, diese Bilder helfen uns, Stille und feierliche Weite in uns selber zu finden.
Gustav Schörghofer SJ