publications » Kunsthandwerk Design 6-1996

Parallelaktion

Über das Weben von Holz und andere Fähigkeiten bei Leena Naumanen

Einmal, im Sommer, saß sie vor einem Stall und betrachtete die Holzschindeln, die vom Dach heruntergefallen waren. Und sie sah den Reichtum an Farben, die lebendige Oberfläche und die Textur dieser Holzstücke, die vom Alter gezeichnet und wunderbar verändert worden waren, so wie es nur mit Naturmaterialien geschieht. Und so kam sie auf die Idee, dieses Material in ihren eigentlichen Arbeitsbereich, die Textilgestaltung, einzubeziehen.

Schon lange, eigentlich schon seit sie aus ihrer finnischen Heimat nach Wien gekommen war, weil sie in der Stadt mehr Leben, mehr Anregung erwartete, geht sie eigene Wege. Mit Finnland und vor allem mit der Natur, die dort das Leben viel stärker prägt, blieb sie aber dennoch verbunden, auch als sie sich entschlossen hatte, ganz in Wien zu leben. Dieses Angesprochen-Sein von der Natur hatte ja auch das Erlebnis mit den Dachschindeln ausgelöst, das nun für längere Zeit ihre Arbeit bestimmen sollte.

So begann sie zunächst einmal, Schindeln zu suchen - 40 bis 50 Jahre alt sollten sie sein, damit sie sich nicht mehr zu stark veränderten, und gut erhalten. Sie fand sie hauptsächlich in Finnland und brachte sie selbst, oft auf abenteuerliche Weise, von dort mit.

Die Technik der Verarbeitung hat sie Schritt für Schritt mit der Gestaltung selbst entwickelt: Sie beginnt immer mit einer Zeichnung im Maßstab 1:1, die ganz präzise Farben und Abmessungen festhält. Dann sucht sie die passenden Holzteile und Leinenfäden dazu, die der Komposition entsprechen. Leena Naumanen arbeitet an einem Flachwebstuhl, immer in ganz einfacher Leinwandbindung. Die Rückseite wird dann noch verleimt, bei großen Stücken mit Verspreizungen befestigt.

Farbe und Struktur ergeben einen ganz eigenen Rhythmus, eine flimmernde Bewegung, die sich besonders bei Tageslicht entfaltet und vor weißen Wänden. Sind die Arbeiten in einiger Entfernung von der Wand angebracht, entsteht außerdem der Eindruck von Tiefe, zum Teil hervorgerufen durch den Schatten an der Wand. Es ist, als ob die Bewegung des Webens die ganze Fläche in leise Schwingungen versetzt hätte, die sich immerfort, aber mit geringen Veränderungen, wiederholen.

Manchmal wird die einheitliche Fläche, wie bei „Wandlung" unterteilt. Die beiden schmalen Seitenteile und der neutrale Hintergrund dazwischen bilden einen starken Akzent. Bei den „Rauchsäulen" ist dieser Abstand größer und soweit ausgedehnt, daß die Spannung zwischen den drei kompakten Teilen aufs äußerste verstärkt wird. Die Ablösung von der Fläche und die Verfestigung im Raum wird noch deutlicher bei den „Gesichtsschirmen". Die Künstlerin betont, daß sie mit diesen Schirmen keine feindselige Abschottung beabsichtigt - im Gegenteil, möglichste Öffnung, die aber naturgemäß in ihrer Verletzlichkeit eine schützende Hülle braucht. Wie immer, geht es ihr hier niemals nur um das Formale, so wichtig dieses auch als Ausdrucksmittel ist, sondern um den Inhalt, und um dessen Vermittlung, also um die Aussage. Die Reihung der Schirme unterstreicht das Gemeinsame bei völliger Erhaltung der jeweiligen Individualität.

Konsequent weitergeführt wird das Eintreten in den Raum bei einer der späteren Arbeiten: „Balance" ist mehr eine Installation als ein Wandbild. Einzelne Elemente, bisher immer vereinigt, haben sich hier verselbständigt; der ganze Raum wird in die Gestaltung mit einbezogen; einzelne Elemente, die große textile Fläche, der Stab, der gewissermaßen zusammenzieht, was früher zweidimensional war, und die dadurch entstehende Perspektive definieren diesen Raum.

Vielleicht ist es ein Endpunkt, ein neuer Anfang, oder eine Brücke. Leena Naumanen weiß es nicht, es wird sich zwangsläufig entwickeln. Das Erleben und das Gestalten ist für sie offenbar eine Parallelaktion, eines auf das andere bezogen und doch jedes für sich auch allein von Bestand. Von außen her, beim Betrachten der Bilder, beim Betreten der Räume fühlt man vor allem anderen das Lebendige.

Dr. Charlotte Blauensteiner