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Leena Naumanen | Atelierbesuch

Die Künstlerstadt Gmünd im Süden Österreichs überzeugt auch in diesem Sommer wieder mit einer breiten Palette an Künstlern aus aller Welt, die für zwei Monate in Gmünd leben und arbeiten. Die gebürtige Finnin Leena Naumanen (geb. 1951), die seit ihrem Studium an der Universität für Angewandte Kunst in den 70gern in Wien lebt, hat ART AND SIGNATURE zu einem Gespräch ins Gastatlier Maltator in Gmünd eingeladen.

Leena Naumanen beschäftigt sich seit den frühen 1980er Jahren mit dem Werkstoff Holz. Doch nicht irgendein Holz wird in ihren Arbeiten aufgenommen: Alles dreht sich um finnische Dachschindeln, die zumeist in kleine Stücke geschnitten werden, um dann mit einem traditionellen Flachwebstuhl zu einem Ganzen verflochten zu werden. Dieses geografisch und historisch aufgeladene Material wird seinem eigentlichen Kontext entzogen und neu interpretiert. Es drückt außerdem ine starke Verwurzelung zu der Heimat der Künstlerin aus. Um immer genug Werkstoff zu haben, fährt sie regelmäßig nach Finnland, wo sie sich ihre Dachschindeln teilweise von alten vergessenen Häusern holt.

Aus einzelnen Holzstücken wird durch das Verweben ein Ganzes geschaffen und bekommt so etwas Mosaikhaftes. Die Schwierigkeit liegt dabei in der Auswahl der Farbübergänge – ein Arbeitsschritt, der sehr viel Geduld und Präzision erfordert. Manchmal nutzt Naumanen dafür einfach die natürlichen schwarzen und weißen Kontraste des Holzes. Nachdem sie die einzelnen Holzfragmente in ihrer richtigen Reihenfolge hat, beginnt sie an einem traditionellen Webstuhl Reihe für Reihe miteinander zu verweben. Die Farbigkeit der verwendeten Leinen richtet sich dabei nach den farblichen Übergängen des Holzes. Leena Naumanen gelingt es Kunstwerke aus bereits Entstandenem entstehen zu lassen, ihnen neues Leben einzuhauchen, und so einen Dialog zwischen Beständigkeit und Wandel, zwischen dem Damals und dem Heute zu schaffen. Das Holz erzählt mit den verschiedenen Oberflächen Geschichten, die Naumanen in ihren Arbeiten aufnimmt und neu interpretiert. Nicht nur der farbliche Übergang, auch andere Sinne werden durch das Fühlen und Riechen des Holzes angesprochen. Die Oberfläche erinnert an abstrakte Gemälde – und doch steckt mehr dahinter. Es gelingt ein Bild der Welt zwischen Entstehung und Vergänglichkeit zu spannen. So wird aus dem natürlichen Werkstoff Holz ein Symbol für die Spuren der Zeit, da ständig den Einflüssen wie Sonne, Wind und Regen ausgesetzt ist.

... wichtig ist es für mich in die Tiefe zu gehen

Dieser Satz führte wie ein roter Faden durch das Gespräch. Und wenn man die Arbeiten aus Dachschindeln und Leinen betrachtet und sich darauf einlässt, wird klar, was damit gemeint ist. Oft färbt sie die Holzstücke noch zusätzlich mit Aquarellfarben, die die Kommunikation zwischen den gefärbten Leinen und der Beschaffenheit des Holzes noch zusätzlich unterstreichen soll. Das Holz lebt in den Arbeiten weiter, es lässt sich Berühren, verändert sich je nach Lichteinfall und lässt aus verschiedenen Perspektiven neue Gesichter erkennen. Der Reichtum des Holzes führt den Betrachter tief in seine Geschichte, in die Tiefe der Zeit. Das gezielte Streben nach Tiefe schließt das bloße Kratzen an der Oberfläche aus. Naumanen will, dass man in ihren Arbeiten mehr sieht: Alles soll in die Tiefe gehen, um sich dort an einem Punkt zu vereinen. Zurück zum Ursprung also, zurück wo alles begann, und das Holz mit seiner Geschichte bildet den Weg dahin.

Leena Naumanen greift in ihrer Arbeit das Spiel mit den Elementen auf und bezieht sich somit immer auf die Kraft der Natur selbst. Themen wie fließendes Wasser, Wind und Feuer ziehen sich durch ihr gesamtes Werk. „Das Lied des Baches“ formt mit der präzisen Auswahl der Übergänge in den Holzschindeln eine Art Welle, und so den Lauf eines Baches. Einen besonderen Platz nehmen auch ihre mittelalterlich anmutenden „Schutzschilder“ ein, die Leena Naumanen ganz anders interpretiert, als man es auf dem ersten Blick vielleicht verstehen würde. Für sie sind diese, ebenfalls aus Leinen und Dachschindeln geformten, Schilder nicht als Versteck oder Abgrenzung gemeint, vielmehr sollen sie in dem Moment der Öffnung, also dann wenn man am verletzlichsten ist, als Schutz dienen. Wenn man diese Interpretation versteht, fällt es leichter, ihre Bilder als Reflexion über Beständigkeit und die Metamorphose zu sehen. Die malerischen und plastischen Effekte des Holzes und die Schönheit der Natur werden einem erst bewusst, wenn man vor einem Original stehen darf. Wenn man sich auf diese pflanzliche Materie einlässt, verfällt man der hypnotischen Wirkung der perfekt ausgewählten Übergänge, und verliebt sich vielleicht sogar in kleine Details, wie etwa einer bemoosten Stelle. Nicht immer werden die Holzschindeln mit Leinen verwebt, in ihren neueren Arbeiten benutzt sie eine Holzplatte als Untergrund, auf dem die einzelnen Stücke angeleimt werden. In ihrer Arbeit „Wo gehe ich hin?“ formt Leena Naumanen aus Schindeln und Leinen eine Art „Tipi-Zelt“, das als Raumobjekt fungiert und leicht wieder abgebaut und getragen werden kann. Inspiration für diese Arbeit fand sie in den traditionellen Behausungen der Samen, ein indigenes Volk im Norden Fennoskandinaviens, die ihre „Tipis“- also ihr Zuhause – bei Bedarf einfach abbauen und mitnehmen können. Die Verbindung zu Finnland und zu der Natur ist ein wiederkehrendes Motiv in ihren Arbeiten. In „Platz für einen Traum“ formt Leena eine Kokon-Förmige Hülle aus den Schindeln und lässt so einen Rückzugsort entstehen, der daran erinnern soll, seine Träume nicht zu verlieren.

Welchen Weg ihre Arbeiten in dem Gastatelier Maltator in Gmünd einschlagen werden, kann man ab Ende August in der Abschlussausstellung sehen. Dort bekommt man auch Gelegenheit selbst mit der facettenreichen Künstlerin zu sprechen und hat vielleicht ebenfalls das Glück, ihren Arbeiten ein Stück weit näher zu kommen.

// von Anna Maria Burgstaller